Kategorie: Dunkles Erbe mit Tiefe: Die stille Kraft der Montepulciano-Traube

Kaum eine Rebsorte Italiens trägt so unaufgeregt eine derart dichte Geschichte in sich wie Montepulciano. In den Hügelzügen Mittelitaliens – vor allem in den Abruzzen – entfaltet sie ihr wahres Wesen: spät reifend, tief in der Farbe, und mit einem Aromenspektrum, das nicht laut sein muss, um unvergesslich zu bleiben. Schwarzkirsche, Brombeere, getrocknete Kräuter – keine Effekthascherei, sondern eine subtile Komplexität, die sich nur dem offenbart, der bereit ist, genauer hinzuschmecken.

Herkunft mit Geschichte: Die wahren Wurzeln des Montepulciano

Wer glaubt, dass der Montepulciano-Wein aus der toskanischen Stadt gleichen Namens stammt, unterliegt einem weitverbreiteten Irrtum. Denn die Rebsorte Montepulciano hat ihren Ursprung nicht in der Toskana, sondern in den mittelitalienischen Abruzzen – einer Region, in der Weinbau nicht nur Landwirtschaft, sondern gelebte Kultur ist. Der Name führt oft zur Verwechslung mit dem „Vino Nobile di Montepulciano“, einem hochwertigen Rotwein aus der Toskana, der allerdings auf der Sangiovese-Traube basiert. Montepulciano als Rebsorte hingegen ist eigenständig, charakterstark – und mit über 31.000 Hektar Anbaufläche einer der bedeutendsten roten Botschafter Italiens.

Zwischen Kalkstein und Küstenwind: Das Terroir formt den Charakter

Die Montepulciano-Traube stellt klare Ansprüche an ihre Umgebung – und belohnt gleichzeitig mit Ausdruckskraft, wenn sie ideale Bedingungen vorfindet. In den Abruzzen, Marken, Apulien und Umbrien trifft sie auf kalkhaltige Böden, lange Sonnentage und das ausgleichende Klima der Adria. Gerade diese Nähe zum Meer ist es, die für kühle Nächte und ein harmonisches Wechselspiel aus Trockenheit und Feuchtigkeit sorgt – ein Zusammenspiel, das den Trauben Komplexität, Frische und Struktur mitgibt.

Aromatische Tiefe statt vordergründiger Frucht: Montepulciano im Glas

Ein echter Montepulciano wirkt nicht laut, sondern tiefgründig. Im Glas zeigt er sich tiefrot, fast violett – ein erster Hinweis auf seine Dichte. Die Nase offenbart eine nuancierte Aromatik, die sich nie plakativ präsentiert, sondern Schicht für Schicht entfaltet:

•Schwarzkirsche, reife Pflaume und dunkle Waldbeeren
•Würzige Untertöne von getrocknetem Thymian, Pfeffer, Leder
•Sanfte Anklänge von Zedernholz, Tabak und dunkler Schokolade

Am Gaumen ist Montepulciano oft überraschend weich: samtige Tannine, eine eingebundene Säurestruktur und ein langer, strukturierter Abgang machen ihn zum idealen Partner für genussvolle Tischgespräche. Gerade in der Kombination mit kräftiger, rustikaler Küche entfaltet er seine Stärken – und lässt dennoch Raum für Feinheit.

Vom Rebberg bis ins Fass: Der Weg zum vollendeten Wein

Der Reifeprozess der Montepulciano-Traube ist behutsam und lang – sie gehört zu den spätreifenden Sorten und wird oft erst Mitte bis Ende Oktober gelesen. In dieser Phase entscheidet sich, wie viel Tiefe und Potenzial der spätere Wein in sich tragen wird. Nach selektiver Handlese folgt eine möglichst schonende Vinifikation, bei der die Frucht im Vordergrund steht – nicht die Technik. Der Ausbau erfolgt je nach Stilistik im Edelstahltank oder in Holzfässern. Gerade letztere verleihen dem Wein zusätzliche Textur, Finesse und Lagerpotenzial – ohne ihn zu verfremden.

Kulinarisches Zusammenspiel: Montepulciano als stiller Gastgeber

Kaum ein Rotwein ist so vielseitig wie Montepulciano, wenn es um Speisenbegleitung geht. Seine Struktur und samtige Tiefe erlauben Kombinationen, bei denen andere Weine überfordern oder verblassen würden. Besonders gelungen wirkt er zu:

•geschmorten Wildgerichten oder Rind in Rotweinsauce
•aromatischen Pasta-Variationen mit Pilzen oder Trüffel
•mediterranen Gemüse-Antipasti, gereiftem Pecorino oder Steinofenpizza

Auch zu rustikalem Brot, Olivenöl und kräftiger Salami ist ein gut temperierter Montepulciano ein stiller, aber präsenter Begleiter – ideal für gesellige Abende ohne große Inszenierung.

Rosé, Riserva & Grappa: Montepulciano als vielseitiger Verwandlungskünstler

Wer Montepulciano nur im klassischen Rotweinformat kennt, verpasst seine stilistische Bandbreite. In den letzten Jahren gewinnt vor allem der Cerasuolo d’Abruzzo – ein kraftvoller Rosato auf Montepulciano-Basis – an Beliebtheit. Er verbindet Frucht und Frische auf verblüffende Weise und spricht auch ein jüngeres, urbanes Publikum an.

Einige Winzer wagen darüber hinaus den Schritt in die Destillation: Aus dem Trester entstehen hochwertige Grappe – mal kristallklar und puristisch, mal gereift und tiefgründig, mit Nuancen von getrockneten Früchten, Pfeffer und Mandelschale. Diese edlen Brände fügen sich nahtlos in das Gesamtbild eines Weincharakters ein, der mehr ist als nur ein Glas Rotwein: Er ist ein Lebensgefühl.

Regionale Vielfalt: Die Kunst der Interpretation

Auch wenn die Abruzzen als Ursprung gelten, hat jede Anbauregion ihre eigene Handschrift entwickelt. In den Marken dominieren mineralische, geradlinige Weine mit kühler Eleganz. In Apulien wird Montepulciano oft mit Primitivo verschnitten – das Ergebnis sind dunkle, kraftvolle Weine mit hohem Alkoholgehalt. In Umbrien hingegen entstehen Versionen, die fast burgundisch wirken: filigran, lebendig, mit feiner Textur.

Diese Unterschiede machen Montepulciano nicht zu einem, sondern zu vielen Weinen. Und gerade das erklärt seine wachsende Beliebtheit auf internationalen Märkten – vom Weinliebhaber in Berlin bis zum Sommelierschüler in Melbourne.